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Donnerstag, 03 November 2022 14:07

Exponat des Monats Oktober 2022

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„Gedenkplatte“ an die Zwangsarbeiter/innen in der Wolfhager Muna von 1942-45 „Gedenkplatte“ an die Zwangsarbeiter/innen in der Wolfhager Muna von 1942-45 Beate Bickel

Zur Erinnerung an Zwangsarbeit in Wolfhagen
Ausschnitt aus einer Bretterwand einer Lagerbaracke der ehemaligen Lufthauptmunitionsanstalt Wolfhagen                           

Von Bernd Klinkhardt

Im Regionalmuseum Wolfhager Land kann man im Fischerraum, aus Platzgründen etwas versteckt platziert, ein Museumsexponat der besonderen Art entdecken.

Es handelt sich um einen Ausschnitt einer Profil-Bretterwand (1 m x 0,71 m) einer Lagerbaracke der ehemaligen „Lufthauptmunitionsanstalt Wolfhagen“. Es zeigt eine Kreidezeichnung mit einer Fahne mit blau ornamentiertem Rand und dem Emblem Hammer und Sichel sowie in Rot die kyrillischen Buchstaben CCCP. ( = Union der sozialistischen Sowjetrepubliken)
In den 1938/39 errichteten Baracken waren zunächst die Bauarbeiter für die Luftwaffen-Muna untergebracht. Während des Krieges dienten die Baracken der Unterbringung der zivilen Zwangsarbeiter/innen und ab 1942 vor allem denen aus Russland und der Ukraine.
Nach dem Krieg konnten die Bewohner Philippinendorfs die Baracken erwerben. Horst Koenies machte das Museum auf die Inschrift seiner Baracke aufmerksam. Alle Spuren vom Leben und Arbeiten der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen waren vor der Sprengung der Muna und der Ankunft der Amerikaner (31.3.1945) vernichtet worden. So entstand im Museum die Idee zur Rettung der Zeichnung, als eine Art „Gedenkplatte“ an die menschenverachtende Behandlung der ehemaligen Zwangsarbeiter/innen in der Wolfhager Muna.
Während des Krieges 1941- 45 traten die seit Urzeiten bestehenden Spannungen und Konflikte zwischen Russen und Ukrainern in den Hintergrund. Hatten die Ukrainer die Wehrmacht zunächst als Befreier vom Bolschewismus begrüßt, mussten sie feststellen, dass ihr Territorium ebenso Ziel der Eroberung des Lebensraumes im Rahmen der NS-Ideologie war.
Der Autor des Textes konnte 2002 Kontakt mit einem ehemaligen Muna-Zwangsarbeiter (Fjodor Sbiranik, Jg. 1927, aus Krementschug/Ukraine) aufnehmen. Er war 1942 fünfzehnjährig als Dienstverpflichteter nach Deutschland verschleppt worden. Zusammen mit anderen Ukrainern und Russen (Abb.2) musste er in der Muna hauptsächlich Munitionsladearbeiten an der Bahngleisanlage und in den Bunkern verrichten: Schwerstarbeit ohne hinreichende Versorgung für Erwachsene und insbesondere Jugendliche. Sbiranik berichtet von unhygienischen Verhältnissen und dem ewigen Hunger. Bemühungen die Lage der Zwangsarbeiter/innen zu verbessern, scheiterten zunächst.
Letztlich konnte sich aber die schon seit März 1943 von Propagandaminister Goebbels initiierte Linie durchsetzen, dass die bisherige Behandlung der Zwangsarbeiter nicht nur leistungsmindernd sei, sondern sich auch negativ auf die politische Einstellung auswirkte. Statt auf rassische Abqualifizierung der Zwangsarbeiter/innen als Untermenschen setzte man auf die antikommunistische Kampfstellung. Infolgedessen verbesserte sich auch die Lage der Zwangsarbeiter/innen in der Muna. Sbiranik berichtet, dass man sogar unbewacht die Lagergrenzen verlassen und „auf Spaziergängen, die Schönheit der Landschaft genießen konnte“.
Vor diesem Hintergrund und vielleicht auch im Wissen um das Vorrücken der sowjetischen Streitkräfte dürfte gegen Ende des Krieges die Kreidezeichnung auf der Barackenwand zustande gekommen sei. 


 





 


Gelesen 1529 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 03 November 2022 14:15