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Mittwoch, 05 September 2012 10:51

Exponat des Monats September

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Als Beten noch den Tagesablauf bestimmte

 

Vor gut 500 Jahren erschien der Ritterroman „Amadís von Gallien“ des Spaniers Garcí Ordoñez de Montaltvo. Ab 1569 konnte man ihn in deutscher Übersetzung lesen. Gleich zu Beginn erfährt der Leser, wie der hochbetagte König Garinter mit seinem Jagdgefolge durch den Wald ritt, „wobei er die Stundengebete vor sich hin sagte.“ Der christlich geprägte Herrscher besaß wohl seit seiner Kindheit ein so genanntes Stundenbuch. Stundenbücher waren Gebetbücher, in denen vorgegebene Gebeten zu bestimmten Tageszeiten gebetet werden sollten. Weil der König sie so oft gesprochen hatte, kannte er sie auswendig und betete sie zur entsprechenden Stunde.

Die Zahl der mit der Hand geschriebenen Stundenbücher übertraf im 15. Jahrhundert alle anderen Werke. Adelige und reiche Bürger gaben sie bei Schreibern und Buchmalern in Auftrag. Wer es sich leisten konnte, ließ die Texte mit Bordüren und Bildern ausschmücken. Am Beginn stand ein Kalender mit Namen von Heiligen für die entsprechenden Tage. Es folgten Texte aus den Evangelien, Psalmverse, Gebete an Maria, Gebete an Heilige und andere Teile, die jeder Auftraggeber festlegen konnte. Die Blattzahl, das Format und die Kosten für Schreiber und Buchmaler bestimmten den Preis.

In der aktuellen Sonderausstellung „Skriptorium“ des Regionalmuseums Wolfhager Land können sie unter anderem auch zahlreiche Faksimiles von Stundenbüchern betrachten.

Das Stundenbuch des Papstes Alexanders VI. beispielsweise wurde nach dem Kirchenfürst benannt, weil auf der Miniatur am Beginn des Textteils sein Wappen zu sehen ist. Das um 1500 in Flandern entstandene Buch war allerdings nicht im Besitz des Papstes. Doch man nimmt an, dass es von ihm als Geschenk an eine hochgestellte Persönlichkeit, die wir nicht kennen, gedacht war.

Auf der gezeigten Doppelseite präsentieren sich die Miniatur und der Text in Architekturrahmen, die in Pinselgold ausgeführt wurden und sakrale Innenräume andeuten. Im Innenraum einer Kirche hat Maria ihren Sohn an Simeon übergeben, der wie verklärt nach links schaut, als wolle er gerade seinen Lobpreis anstimmen. Hinter Maria steht Joseph mit einer brennen­den Kerze, wie sie auch die Frau hinter Simeon trägt. Sie erinnert an das christliche Fest der Reinigung Mariae und ersetzt damit die Tau­ben, die jüdische Vorschrift waren. Im Hintergrund ist die beten­de Hanna zu erkennen. Die Uhr an der Rückwand ist eine moderne Zutat zu einem Geschehen, das 1500 Jahre zurücklag. Der Text wird durch eine sechszeilige Miniatur eingeleitet, die typisch ist für den Stil der Zeit.

Die Ausstellung "Skriptorium" wurde dank einer Spende der Kasseler Bank ermöglicht.

 

Wolfgang Schiffner

 

Kontakt: www.regionalmuseum-wolfhager-land.de

Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag 10 bis 13 und 14 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung.

 

 

Gelesen 9447 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 05 September 2012 11:25